Das Pentagon wollte die Berichte zunächst nicht kommentieren. Außenminister Antony Blinken sagte dazu am Sonntag lediglich, er könne sagen, dass die Regierung weiterhin Fragen der Waffenlieferungen und ihrer Einsatzbeschränkungen der jeweiligen Lage anpassen werde. Das durfte man als indirekte Bestätigung werten, schließlich befürwortet das State Department schon längere Zeit, Kiew den Einsatz des Raketensystems ATACMS in russischem Gebiet zu gestattet. Biden war derjenige, der bislang Bedenken hatte. Auch im Pentagon war man bisher skeptisch.
Der russische Machthaber Wladimir Putin hatte im September gewarnt, die Aufhebung der Einsatzbeschränkung bedeute, dass sich die NATO dann im Krieg mit Russland befinde. In Washington hob man seinerzeit allerdings hervor, zwar nehme man ernst, was Putin sage, doch treffe man eigene Kalkulationen. Putins Drohung sei nicht der Grund für die Bedenken Bidens, sollte das damals heißen.
Im September war bekannt geworden, dass Washington Kiew ATACMS-Raketen zur Verfügung stellt, welche die ukrainische Regierung längere Zeit gefordert hatte. Das Raketensystem mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern – die Abkürzung steht für „Army Tactical Missile Systems“ – durfte aber nicht auf russischem Gebiet eingesetzt werden. Andere Waffensysteme, etwa der Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS, durften hingegen seit Mai zur Abwehr der russischen Offensive in Charkiw auch im russischen Grenzgebiet eingesetzt werden.
Nun berichtet die New York Times, Bidens Kurswechsel bedeute zunächst, dass die ATACMS-Raketen gegen russische und nordkoreanische Soldaten in der Oblast Kursk eingesetzt werden dürfen. Die Genehmigung sei eine Reaktion auf die Stationierung Tausender Soldaten aus Nordkorea in der Region.
Kiew forderte seit Längerem die Freigabe weitreichender Waffen aus amerikanischer Produktion für den Einsatz auf russischem Territorium. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat stets argumentiert, dass nur so russische Militärflughäfen erreicht werden können, von denen Kampfflugzeuge aufsteigen, um auf ukrainische Ziele Gleitbomben abzuwerfen oder Raketen abzufeuern. Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte in der Vergangenheit eingestanden, dass das russische Militär seine Kampfflugzeuge schon seit einiger Zeit auf andere, weiter entfernte Flugplätze verlegt habe.
Selenskyj deutete am Sonntag an, die Erlaubnis für den Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland erhalten zu haben. In den Medien kursierten entsprechende Berichte, sagte der Präsident in seiner abendlichen Ansprache. Doch Schläge würden nicht mit Worten geführt, fügte er hinzu. „Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen“, sagte er. In Moskau wollte sich Maria Sacharowa, die Sprecherin von Außenminister Sergeij Lawrow, nicht zu den Berichten äußern. Mit Blick auf Putins Drohung vom September verwies sie darauf, dass der russische Präsident alles dazu gesagt habe.
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